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Alte-weise-Frau-Arbeit

  • Autorenbild: Andrea
    Andrea
  • 11. Apr. 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Mai 2021

Jeder von uns kennt Situationen, in denen wir völlig irrational, um nicht zu sagen schwachsinnig oder gar nicht reagierten, sondern einfach nur wie ein Schuljunge oder -mädchen vor dem Chef standen und kein Wort herausgebracht haben. Im Nachhinein wissen wir, wie wir hätten reagieren sollen und schämen uns für unsere tatsächliche Reaktion. Bei der nächsten Situation dieser Art passiert wieder das Gleiche. Was ist da los? In der Situation ist unser Wissen und logisches Denken wie weggeblasen. Warum stehen wir in Situationen, in denen es um bedeutende Themen für uns geht, oft da wie kleine, hilflose Kinder?


In diesen Situationen versetzt uns irgendein Auslöser, ob es Worte, Düfte, Geräusche sind wieder in das Alter eines Kleinkindes zurück, in dem das logische Denken und der Verstand noch nicht ausgereift waren. Ein Säugling ist komplett seiner Umwelt ausgeliefert, daher entsteht Existenz- und Todesangst meist schon in den ersten Monaten. Wenn seine Bedürfnisse zeitnah erfüllt werden, macht es die Erfahrung, die Welt ist in Ordnung und es kann sich frei und unbesorgt entwickeln. Werden aber seine Bedürfnisse nicht erfüllt, wird der Sympathikus-Nerv aktiviert, der für das Überleben zuständig ist. Das Kind schreit und strampelt, wird darauf längere Zeit nicht reagiert, treten entwicklungsgeschichtlich noch ältere Hirnteile in Aktion, das sogenannte Fischhirn. Dadurch wird der Parasympathikus aktiv und das Kind wird apathisch, schlaff und teilnahmslos - es gibt sozusagen auf. Es fühlt sich der Situation vollkommen hilflos ausgeliefert. Da Säuglinge kein Zeitempfinden haben, ist es völlig unerheblich wie lange diese Todesangst anhielt. Die Psychologin Stephanie Neuwald erklärt die Abläufe im menschlichen Gehirn sehr ausführlich in diesem Artikel.


Ich denke, es ist auch jetzt schon verständlich, warum man mit Bücher lesen und Logik an diese tief verwurzelte Angst nicht herankommt. Die Amygdala lernt durch Emotionen, v.a. durch Angst und Schock. Sie lernt schnell und speichert alle Zusatzinformationen, die mit dem Angsterlebnis in Verbindung stehen als potenzielle Bedrohung ab, welche es um jeden Preis zu vermeiden gilt.

Alle Begleitumstände zu dem Schockerlebnis, wie Gerüche, Geräusche, Musik, Körperempfindungen, Personen oder Gegenstände werden also ungefiltert mit abgespeichert und können bei Wiedererleben als potentielle Gefahr beurteilt werden und die gleiche Angst erneut auslösen. Alles das wird sozusagen in eine Kiste gepackt und zusammen gelagert bzw. gespeichert.

War das Erlebnis extrem schlimm und überfordernd, kann es sogar sein, dass so eine Kiste im hintersten Winkel gelagert wird, also verdrängt wird, um weiterleben zu können. Bei Schockerlebnissen werden also alle bewussten Hirnteile abgeschaltet und die Amygdala übernimmt die Kontrolle. Das ist auch sinnvoll, da wir bei einer Bedrohung nicht erst überlegen können, was wir tun sollen, sondern schnell handeln müssen.

Wird ein Kind nach einem Schock getröstet und darf weinen, trauern oder wütend werden, baut es dadurch die Stresshormone wieder ab und kommt auch emotional wieder ins Gleichgewicht. Passiert dies allerdings nicht, so wird das Erlebte wie beschrieben abgespeichert und bleibt als Gefahrauslöser bestehen.

Alles was daran erinnert, löst wieder dieselbe Angst aus. Wurde ein sehr schlimmes Erlebnis auch noch ganz verdrängt, losen die damit verbundenen Reize trotzdem noch die gleiche Angst aus, aber wir können sie nicht mehr dem Erlebten zuordnen und wissen also gar nicht, woher diese Angst kommt. Es bleibt nur Unverständnis und Leere. Um weiteren Schaden zu vermeiden, bilden sich so viele Tricks, Schlussfolgerungen, Verhaltensregeln und Grundüberzeugungen, die uns meist nicht einmal wirklich bewusst sind. Auf diese Weise entstehen Überzeugungen wie, „wenn ich leise und unauffällig bin, gibt es keine negativen Konsequenzen“, oder „ich werde nur geliebt, wenn ich etwas leiste“, „ich bin immer Schuld“, „Beziehungen eingehen, tut weh und ist gefährlich“, „egal was ich tue, es ist falsch“, usw.

Hier setzt die Innere-Kind-Arbeit an, denn das Interessante ist, dass das Gehirn nicht zwischen wirklich Erlebtem und Visualisiertem unterscheidet und das können wir uns zu Nutze machen, indem wir uns in die damalige Situation hineinversetzen und uns vorstellen, dass unser jüngeres Ich von unserem erwachsenen Ich getröstet und in den Arm genommen wird. So übernimmt das erwachsene Ich endlich die Verantwortung . Unser Gehirn verankert bedrohliche Ereignisse schon bei einmaligem Erleben, positive Erlebnisse müssen öfters visualisiert werden, je intensiver die Gefühle dabei sind, desto schneller werden sie gespeichert.


Ein Lied von Hannah Below mit dem Titel "Alte weise Frau" hat mich nun auf die Idee gebracht, dass wir genauso mit unserem älteren Ich arbeiten können. Ebenso wie unser jüngeres Ich in Form des inneren Kindes noch immer in uns vorhanden ist, so existiert unser altes, weises Ich, das alle Antworten über unser Leben schon weiß, auch bereits. Im Universum existiert alles gleichzeitig, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Krankheit, Gesundheit und der Raum dazwischen. Angst und Liebe und der Raum dazwischen.

Ich habe mir vorgestellt, mein Ich mit 85 Jahren zu treffen. Ich sah eine Frau mit ganz langen weißen Haaren, die zu einem Dutt hochgesteckt waren, vielen Falten auf der Stirn, aber auch Lachfalten und ein zufriedenes, gelassenes Lächeln, Augen, die so viel Weisheit ausstrahlten und zwei großen Hunden an ihrer Seite. Sie saß in einem Schaukelstuhl, nahm meine Hand und erzählte mir, dass es viele Herausforderungen in ihrem Leben gab und sie dadurch sehr gewachsen ist und zufrieden auf das zurückblickt, was sie geschaffen hat. Ich sollte mir die Gegenwart nicht mit Sorgen verbauen, denn sie ändern nichts und am Ende ist sowieso alles so wie es sein soll.


Es ist wichtig und an irgendeinem Punkt unerlässlich in der Vergangenheit genau da rumzustochern, wo es weh tut. Ebenso wichtig ist es, nach vorne zu schauen, zu visualisieren und das Schöne zu sehen, das die Zukunft für uns bereit hält.



Innere-Kind-Arbeit Psychologie Schattenarbeit Persönlichkeitsentwicklung
Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat.

Jean Paul Sartre



Quellen:



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