wie die Faust auf´s Auge
- Andrea
- 17. Nov. 2021
- 4 Min. Lesezeit
In der Schule haben wir Goethes Faust gelesen, wie vermutlich alle Gymnasiasten. Ich habe das Buch gehasst, wie eigentlich alle Bücher, die wir im Deutschunterricht gelesen haben, aber Faust ist mir besonders negativ in Erinnerung geblieben. Umso überraschter war ich, als ich in den letzten Monaten immer wieder auf Zitate von Goethe gestoßen bin und mir klar geworden war, dass Goethe offensichtlich einen sehr hohen Bewusstseinszustand erreicht haben musste. Vor allem sein ganzheitliches, natürliches Verständnis von Gesundheit hat mich tief beeindruckt. Von Goethe stammt zum Beispiel der Ausspruch: Wenn du mit 30 nicht dein eigener Arzt bist, kann dir keiner mehr helfen. Ganz so krass sehe ich es nicht, denn ich denke, es ist nie zu spät bewusst zu werden und zu heilen, solange der Körper noch nicht tot ist. Heilen kannst du dich allerdings immer nur selbst. Das Zitat zeigt, dass Goethe schon im Alter von 30 dieses Bewusstsein schon erreicht hatte. Mit 21 Jahren fing er an Faust zu schreiben und stellte das Werk erst mit 59 Jahren fertig. Faust beschreibt somit Goethes langen Weg der Bewusstwerdung und Selbstfindung.
In Faust gibt Goethe auch sein Verständnis von Gesundheit und Heilung preis, wie in der folgenden Szene deutlich wird:
Beim Osterspaziergang sagt Wagner zu Doktor Faust:
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann, bei der Verehrung dieser Menge haben! O glücklich, wer von seinen Gaben solch einen Vorteil ziehen kann!
Der lebensmüde Faust entgegnet darauf:
An Hoffnung reich, im Glauben fest, mit Tränen, Seufzen, Händeringen dacht´ich das Ende jener Pest vom Herrn des Himmels zu erzwingen. Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn. O könntest du in meinem inneren lesen, wie wenig Vater und Sohn solch eines Ruhmes wert gewesen!.....Hier war die Arzenei, die Patienten starben, und niemand fragte: wer genas? So haben wir mit höllischen Latwergen in diesen Tälern, diesen Bergen, weit schlimmer als die Pest getobt. Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben, sie welkten hin, ich muß erleben, daß man die frechen Mörder lobt.
Nach über 20 Jahren habe ich Faust ein zweites Mal gelesen und ich muss gestehen, es ist nach wie vor keine seichte Lektüre. Aufgrund der altertümlichen Sprache und der Verse ist weder das Eindeutige leicht zu verstehen, ganz zu schweigen vom Zweideutigem und Metaphern. Ich habe mich in den letzten Monaten viel mit Philosophie und Spiritualität beschäftigt und dennoch habe ich Faust noch nicht vollumfänglich verstanden. Wie man auf die Idee kommt, Jugendliche könnten mit dem Buch etwas anfangen, ist mir unbegreiflich. Themen wie Bewusstseinsentwicklung und Spiritualität sollten unbedingt im Lehrplan enthalten sein, allerdings sollte man damit in einer weniger komplexen Form beginnen. Ein Goethe hat über 30 Jahre und viel Lebenserfahrung gebraucht um diese Gedanken für sich zu ordnen, wie soll das mit einem Schüler in Resonanz gehen?
Dein Goethe in Dir
In meinem Buch "Rote Wirecard vom Universum" ist Goethe auch Thema, denn ich habe mich darin mit Talenten und Berufung auseinandergesetzt und überlegt, warum wenige Menschen wie Goethe solche Meisterwerke erschaffen können. Viele würden sagen, er hatte den finanziellen Rückhalt aus seiner wohlhabenden Familie und konnte sich daher die Zeit zum Schreiben und Reisen nehmen. Außerdem war er in jungen Jahren schon selbst erfolgreich als Jurist und als Dichter. Manche Menschen werden aus eigener Erfahrung wissen, dass die finanzielle Situation beim Leben der Berufung nicht wirklich entscheidend ist. Viel blockierender sind beispielsweise Erwartungen von den Eltern. Goethes Vater bestand auch darauf, dass er Jurist wird wie er selbst. Aus einer erfolgreichen Berufstätigkeit, die Geld, Sicherheit und Anerkennung bringt, ist so viel schwerer als aus einer wirtschaftlich nicht funktionierenden Tätigkeit auszusteigen. Als Goethe beschließt, nach Italien zu fliehen, war er im Staatsdienst am Weimarer Hof mit einem stattlichen Gehalt. Aus dieser Situation heraus zu sagen, ich reise nun nach Italien und beschäftige mich mit Kunst, ist sicherlich nicht leicht und erforderte noch mehr Mut als meine "Flucht" nach Italien, über die ich ebenfalls ausführlich in meinem Buch schreibe. Im folgenden Ausschnitt aus meinem Buch geht es - wie bereits angekündigt - um Goethe:
Früher dachte ich oft, es kann ja nicht jeder ein Einstein oder Goethe sein, und das ist auch gut so. Jetzt bin ich tatsächlich der Meinung, dass jeder Einzelne von uns einen Einstein und einen Goethe in sich hat, ganz unabhängig vom Intelligenzquotienten oder von der Schulbildung. Ich glaube nicht, dass Goethe in der Schule gelernt hat, Romane zu schreiben, sonst wäre sein Lehrer Schriftsteller gewesen und nicht Lehrer. Wir alle haben das Potenzial der großen Dichter und Denker in uns, so wie ein Apfelkern alle Voraussetzungen in sich trägt, ein uralter fruchtbarer Baum zu werden und jedes Jahr unzählige Äpfel zu tragen. Wind und Wetter in Form von Selbstzweifeln, Ängsten und Kritik von außen überstehen zu können, das unterscheidet Goethe von Max Mustermann. All die Menschen, die Besonderes schaffen, aktivieren ihre Schöpferkraft, indem sie sich mit sich selbst, der Natur und ihrer Intuition verbinden. Sie befinden sich auf einer hohen Bewusstseinsebene, was ich im folgenden Kapitel erklären werde. Inzwischen würde ich sogar sagen, es gibt keine Talente, nur Interessen. Je mehr Zeit man für eine Tätigkeit verwendet, desto besser wird man sie über kurz oder lang beherrschen. Wirklich Außergewöhnliches entsteht allerdings nur, wenn man mit Leib und Seele dabei ist. Viele Schriftsteller setzen sich hin, und die Worte fliegen ihnen zu, ohne große Anstrengung, wie von einer höheren Macht. Sie arbeiten nicht mit ihrem Verstand, sondern sind in der Lage, das morphogenetische Feld oder das kollektive Wissen anzuzapfen. Diese Erfahrung durfte ich bei meinem Blog und beim Schreiben dieses Buches auch machen, und so füllten sich die Seiten fast wie von Geisterhand, ohne dass ich mir vorher zurechtgelegt hatte, was ich schreiben wollte. Die Tatsache, dass viele Intellektuelle derselben Epoche ähnliches Gedankengut zu Papier gebracht haben, zeigt ebenfalls, dass sie alle Anteil an demselben kollektiven Wissen hatten. Das erinnert mich an die Raben in England, die lernten, Milchflaschen zu öffnen, und fast zeitgleich konnten Raben an anderen Orten der Welt Milchflaschen öffnen, ohne es vorher gelernt zu haben. Da ich von der Existenz dieses kollektiven Wissens überzeugt bin, weiß ich, dass mein Blog und dieses Buch eine Wirkung haben, egal von wie vielen Menschen sie gelesen werden.
Ein Stein in dir, dein göttlicher Kern, hat das Potenzial einen Einstein aus dir zu machen.
Andrea Erhard
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