Die raufen sich schon zusammen
- Andrea
- 17. Apr. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Mai 2020
sagen Eltern bei Kindern und Hundebesitzer analog dazu: "Die machen das schon unter sich aus." Warum hält sich diese Einstellung so hartnäckig, trotz der vielen Verletzungen bei Hundebegegnungen, die mitunter auch tödlich enden? Ich glaube, wir Menschen gehen davon aus, dass unsere Hunde nicht so grausam wie wir sind und nicht grundlos einen Artgenossen töten würden. Tiere töten nur aus Hunger und zur Verteidigung, oder?
In der Tierwelt gibt es die intraspezfiische Aggressivität (zwischen Artgenossen) und die interspezifische Aggressivität (zwischen unterschiedlichen Gattungen).
Aggression dient der Selbsterhaltung der Gattung, wenn das eigene Leben, Nahrung, das Territorium oder der Sexualpartner von außen bedroht wird. Als Auslöser für die Aggressivität muss ein äußerer Reiz vorliegen. Um permanente Aggression zu vermeiden, sind soziallebende Tiere (auch der Mensch) mit einem großen Frontallappen im Gehirn ausgestattet, der dazu dient die Triebe kontrollieren zu können.
Begegnen sich zwei fremde Artgenossen ist das ein solcher äußerer Reiz, sie stoßen sich ab wie gleich geladene Teilchen mit dem biologischen Ziel Übergrasung, Überfischung etc. zu vermeiden. Je mehr Artgenossen auf einem Raum sind, desto aggressiver fällt die Reaktion aus. Bei Tierarten, bei denen der Familienvater der Verteidiger ist, ist es biologisch sinnvoll, dass sich nur die Stärksten fortpflanzen, was durch Rivalitätskämpfe und Rangordnungskämpfe gesichert wird. Die Kämpfe sind sehr ritualisiert, es wird fair gekämpft mit Regeln, die sehr an menschliche Boxkämpfe erinnern und es passiert fast nie etwas. Wir kennen Tiere fast nur in Gefangenschaft und haben daher ein übertriebenes Bild von Aggression, da es mitunter doch Tote gibt, weil der Angreifer unter Druck steht und der Besiegte nicht fliehen kann.
Die interspezifische Aggression dient natürlich vorwiegend der Ernährung und wird ohne Bedrohung ausgelöst, beispielsweise durch einen Geruch oder Bewegungsreiz.
Kann man Aggression beim Tier mit der bei Menschen vergleichen? Bei jedem Menschen ist die Aggression im Gehirn angelegt als natürliches Erbe unserer Vorfahren und der Tiere. Dann sollte man annehmen, dass sie nur noch schwach ausgeprägt ist. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. Das hängt damit zusammen, dass der Mensch viel mehr Bedrohungen und Angriffen als ein Wildtier ausgesetzt ist. Tatsächlich? Ja, denn wir haben die Bedrohungen in unserem Kopf: Der Mensch reagiert im Gegensatz zum Tier nicht nur auf im Moment bestehende Bedrohungen, sondern auch auf zukünftige Bedrohungen. Das ist vergleichbar mit der Angst, die Tiere im Gegensatz zum Menschen nicht empfinden können, worüber ich bereits einen Beitrag geschrieben habe. Menschen kann man einreden, dass sie bedroht sind, das macht für sie selbst keinen Unterschied zu einer reellen Bedrohung. Zudem hat ein Mensch viel mehr vitale Interessen, die nicht nur Nahrung, Raum und Partner betreffen, sondern auch seine Werte, Institutionen und Ideale sind ihm so wichtig wie sein eigenes Leben, wie z.B. Staat, Religion, Eltern, Ahnen.
Andererseits kommt Aggression nicht in allen Gesellschaften gleich stark vor. Es gibt viele Gesellschaften, in denen es wenig Aggression gibt, das sind Naturvölker wie die Pueblo Indianer oder die Pygmäen. Bei Jägern und Sammlern gab es keine Kriege. Erst mit der neolithischen Revolution entstanden Neid, Habgier, Gewalt und Kriege. Aufgrund klimatischer Veränderungen entstanden feste Siedlungen, Ackerbau, Domestizierung von Haus- und Nutztieren und die Anlage von Vorräten, also von Kapital. Seit etwa 4000-3000 v. Chr. werden Gesellschaften nicht mehr matriarchalisch, sondern patriarchalisch organisiert, was dazu führte, dass man mehr produzierte als man brauchte. Selbst vorratshaltende Tiere, wie zum Beispiel Bienen, lagern nicht mehr als sie brauchen, was ich in einem Beitrag bereits erklärt habe. In einem System, in dem Überfluss produziert wird entsteht Aggression, man kann ausbeuten, rauben etc.. Auch bei den Bienen gibt es Räuberei, wenn ein Bienenvolk durch eine Krankheit zu schwach geworden ist, um sich zu verteidigen und der Tod des ganzen Volks unausweichlich ist, kommen fremde Bienen und Wespen in den Stock und rauben den überflüssigen Honig. Die Naturvölker haben alle gemeinsam, dass sie kein Privateigentum haben und es daher nichts gibt, was man einem anderen nehmen könnte oder zu was man ihn nötigen könnte.
Wie ist es denn nun bei unseren Hunden im Park, die sich begegnen? Sie haben kein Privateigentum und der Park ist nicht ihr alleiniges Territorium. Dadurch, dass der Hund ungehindert auf den Artgenossen zusteuern kann ohne davon abgehalten zu werden, entsteht bei ihm die Vorstellung, er hätte einen Auftrag, der vielleicht darin besteht, Frauchen zu verteidigen oder die Leckerlis, die Frauchen dabei hat. Vielleicht ist der Hund auch der Meinung, heute wären eindeutig zu viele Hunde im Park und einer weniger würde die Lage sichtlich entspannen.
Es besteht bei Hunden außerdem keine natürliche Hemmung einen Artgenossen zu verschonen (auch keinen Welpen), sofern er nicht aus dem eigenen Rudel ist. Nur das eigene Leben und eigene Gene werden geschützt. Ein Wolfsrudel, das einem anderen begegnet, würde niemals ein rangniedriges Mitglied vorschicken um beim anderen Rudel irgendwas auszumachen. Was gibt es denn überhaupt auszumachen und wieso denn?

"Es steckt alles Tier im Menschen, aber nicht aller Mensch im Tiere."
Konrad Lorenz
Quellen:
Lorenz, Konrad: Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression, 1970)
Fromm, Erich: Über die Ursprünge der Aggression: https://www.youtube.com/watch?v=Yk3ge2PrAZc
Baumeister, Roy; Tierney, John: Macht der Disziplin, S. 22
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