Man sagt ja nichts, man fragt ja nur
- Andrea
- 3. Apr. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Apr. 2020
Ich denke gerade öfter an die sonntäglichen Szenen aus meiner Kindheit, in denen ich jede Woche aufs Neue hinterfragt habe, ob ich wirklich in die Kirche müsste. "Es ist doch nicht zu viel verlangt, sich in der Woche nur eine Stunde Zeit für unseren Herrgott zu nehmen," entgegnete mein Vater meinem weinerlichen Jammern. "Es ist doch nicht zu viel verlangt, einfach mal ein paar Wochen Zuhause zu bleiben." Manchmal habe ich mich dann geschlagen gegeben, meistens habe ich sokratesmäßig weiter gebohrt: "Wer verlangt das denn, Gott selbst und wenn ja warum? Komm ich in die Hölle, wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe?" Solche brennenden Fragen wurden dann immer mit dem Deckmantel der Gotteslästerung erstickt oder wie in diesem Fall mit der Moralkeule erschlagen: "Es gibt viele arme und kranke Kinder auf der Welt, die froh wären, wenn sie in die Kirche gehen könnten und du beschwerst dich, wenn du nur einmal in der Woche Gott dafür danken solltest, dass du gesund bist." "Es gibt viele Ärzte und Krankenschwestern (und bestimmt auch Ärztinnen und Krankenpfleger), die derzeit froh wären, daheim bleiben zu können und wir beschweren uns über das Wenige was wir tun können um sie zu entlasten, nämlich Zuhause zu bleiben." "Was stimmt mit mir nicht, als gute Christin müsste ich doch gerne in die Kirche gehen. Oder ist es normal, dass Kinder nicht gerne zur Kirche gehen? Aber meine Geschwister beschweren sich doch auch nicht. Es ist nicht nur so, dass ich mich langweile dort, es ist wirklich eine Qual für mich. Ich würde sogar lieber zur Schule gehen." Das war noch zu Grundschulzeiten.
Ist es auch eine Qual für mich Zuhause zu bleiben? Mitnichten, ich war immer schon am liebsten daheim und schaute lieber die weiße Wand an als draußen schwachsinnigen Small Talk zu betreiben. "Zuhause sterben die Leute," wurde mir oft gesagt und dieser Satz war auch schon vor Corona blöd. "Ich finde es gesund, die meiste Zeit allein zu sein. Gesellschaft, selbst mit den Besten, wirkt bald ermüdend und zerstreuend. Ich bin unendlich gerne alleine.“ (Thoreau) Der Corona Virus ist für mich quasi eine virologische Rechtfertigung, respektive solidarische Untermauerung meines durch und durch unsozialen Lebenswandels.
Na also, wo ist das Problem. Ich habe durch den Coronavirus in der Tat nicht mehr Probleme als vorher, das können wahrscheinlich nicht viele behaupten. "Geld war immer schon das Wenigste." (Graf Bobby)
Als freiheitsliebender Wassermann beängstigt mich allerdings schon, wie schnell und diskussionslos Grundrechte einfach mal so vorübergehend nicht mehr gelten. Die Meinungsfreiheit hat bereits mehr als die Bewegungsfreiheit gelitten. Es traut sich ja kaum noch jemand Fragen zu stellen. Ich hätte zu dem Thema auch noch ein paar Fragen, obwohl es in den Medien seit Wochen kein anderes Thema gibt. Vielleicht liegt es an mir, weil ich vieles nicht verstehe und ein Sokrates-Warum-Kind bin. Es mag alles angemessen und richtig sein. Dennoch sollte es möglich sein nach Details und Erklärungen zu fragen ohne als Egoist und Corona-Leugner beschimpft zu werden. Ebenso sollte es in der nächsten derartigen Situation machbar sein, im Vorfeld Fragen zu stellen. Es geht auch hier wieder um Zugehörigkeit. Wer möchte nach der räumlichen Distanzierung auch noch in den sozialen Medien isoliert werden. Ich glaube die gesellschaftliche Haltung ist so ähnlich wie die des französischen Philosophen Blaise Pascal zum Glauben an Gott: Wenn Gott existiert und ich glaube an ihn, alles richtig gemacht. Wenn Gott existiert und ich glaube nicht an ihn, dann ist das das Schlimmste was passieren kann, ewige Qualen in der Hölle. Wenn Gott nicht existiert und ich glaube an ihn, was habe ich schon verloren, außer die Zeit in der Kirche. Vielleicht habe ich sogar was gewonnen. Wir gewinne eine bessere Umwelt, die endlich einen Preis hat: die Freiheit.

Quellen:
Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
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